Prager Fenstersturz: Ständeaufstand in Böhmen

Prager Fenstersturz: Ständeaufstand in Böhmen
Prager Fenstersturz: Ständeaufstand in Böhmen
 
Unter der Herrschaft der Habsburger waren in Böhmen seit 1526 gezielte Rekatholisierungsmaßnahmen eingeleitet worden, die vor allem der 1556 nach Prag berufene Jesuitenorden durchführte. Die spürbare Verhärtung auf religiösem Gebiet zeigte bald auch politische Folgen, weil die nichtkatholischen Ständevertreter ihre Zustimmung zu den für die Türkenkriege erforderlichen Steuern von der Bestätigung ihrer Glaubensfreiheit abhängig machten. Sie wurde ihnen 1575 in der »Confessio Bohemica« zwar gewährt, aber in der Praxis während der Regierung Kaiser Rudolfs II. (1552-1612, Kaiser seit 1576) zunehmend missachtet, der gezielt Katholiken in die wichtigsten Landesämter berief.
 
Einen 1604 von Ungarn ausgehenden Aufstand nutzte der Bruder des Kaisers, Matthias, um Rudolf weitgehend zu entmachten, der sich in Böhmen nur durch die Unterzeichnung eines die Glaubensfreiheit und die Ständeprivilegien sichernden Majestätsbriefs (9. Juli 1609) zu behaupten wusste. Dennoch wurde er 1611 von Matthias zum Rücktritt gezwungen.
 
Nachdem es Kaiser Matthias (1557-1619, Kaiser seit 1612) gelungen war, einen langfristigen Frieden mit dem osmanischen Sultan zu unterzeichnen, versuchte er seit 1615 den Einfluss der nichtkatholischen Stände in Böhmen zu beschneiden, die ihrerseits Kontakte zum protestantischen Fürstenbund im Reich pflegten. Aus Verärgerung über die ständige Verletzung ihrer im Majestätsbrief verbürgten Rechte zog am 23. Mai 1618 eine große Menschenmenge zur Prager Burg und stürzte zwei der zehn Statthalter aus dem Fenster. Obgleich diese überlebten, löste der (zweite) Prager Fenstersturz die erste Etappe des Dreißigjährigen Krieges aus, den Aufstand des vorwiegend protestantischen Adels gegen die autokratisch-katholische Landesherrschaft der Habsburger. Aus einer böhmischen Rebellion entwickelte sich ein ganz Europa erfassender Krieg.
 
Die in einer Konföderation verbundenen böhmischen Stände versagten Ferdinand II. (1578-1637, Kaiser seit 1619) die Anerkennung und wählten Friedrich V. von der Pfalz zum König. Den Sieg der Kaiserlichen am Weißen Berg vor Prag am 8. November 1620 nutzte Ferdinand II., um die Privilegien der Stände und die staatsrechtliche Selbstständigkeit der böhmischen Kronländer abzubauen und die ausschließliche Souveränität des Monarchen zu verankern. Den als unzuverlässig eingestuften Adligen wurde mit der Enteignung ihrer Güter die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Eine immense Teuerung und eine Hungersnot forderten zahllose Opfer.
 
Die gewaltsame Pazifizierung und Rekatholisierung wurden 1627 in einer »Verneuerten Landesordnung« abgesichert, die den katholischen Glauben als einzig anerkannte Religion festschrieb, das Mitbestimmungsrecht der Stände weitgehend beschnitt und Böhmen zum Erbkönigtum des Hauses Habsburg proklamierte.

Universal-Lexikon. 2012.

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